Die Mondscheinallee – Teil 1

Jede noch so nach außen perfekt wirkende Familie, hat seine Laster. Diese Kurzgeschichte, erzählt die kleinen Geschichten solcher Familien aus der Mondscheinallee.

DIE MONDSCHEINALLEE – Teil 1

RAMONA LEONHARDT

Heute habe ich die Nachbarn gesehen. Familie Dachmann. Er stand am Rosenbeet und hat es gepflegt. Sie sind sein Ein und Alles. Die Rosen. Fast jeden Tag steht er dort und stutzt sie, redet mit ihnen oder betrachtet sie einfach nur. Sie sehen auch wunderschön aus. Meine Familie und ich bewundern das Beet jedes Mal, wenn wir daran vorbei laufen. Wunderschön. Wie seine Frau Larissa. Während er sich um die Rosen kümmerte, lag sie im Bikini auf der Liege und hat sich gesonnt. Mit einem knallroten, ausschweifenden Sonnenhut auf dem Kopf. Genauso knallrot wie ihr Bikini. Dabei las sie die Freundin. Ich kenne die Zeitschrift nur aus dem Regal. So etwas lese ich nicht. Ich mache lieber Sodoku.

Sie sind ein wirklich hübsches Paar. Rainer hat zwar schon einen kleinen Bauch, was ihn aber nicht weniger attraktiv machte als damals, als sie hier her gezogen sind. Und wie liebevoll sie immer miteinander umgehen. Das vermisse ich ein bisschen mit meinem Mann. Kris und ich sind nur noch in der Öffentlichkeit und in Gegenwart unserer Kinder so. Damit niemand merkt, wie es wirklich um uns steht. Ein bisschen Idylle müssen wir einfach bewahren. Unseren Kindern zu Liebe. Sina und Jacob. Sie sind neun und elf Jahre alt.

Gegenüber sehe ich die anderen Nachbarn im Wohnzimmer. Die Millers. Sie sitzen im Wohnzimmer und unterhalten sich. Ihre Tochter Anne ist zu Besuch. Seit sie studiert ist sie nur selten da. Jetzt unterhalten sich alle ganz angeregt und lachen. Ich beneide sie irgendwie.

Die Kiesels lachen auch viel miteinander, wenn sie mit ihrer Tochter im Garten sind. Wie heute Nachmittag. Ihre vierjährige Tochter Chantal hat in ihrem aufblasbaren Pool geplanscht mit Schwimmflügeln. Das sah niedlich aus. Danach hat sie gemeinsam mit ihren Eltern Memory gespielt. Dabei haben sie sehr viel gelacht und sich gegenseitig gelobt. Auch die Eltern. Kris lobt mich kaum noch. Er redet generell sehr wenig mit mir. Auch, wenn wir etwas mit unseren Kindern unterwegs sind. Dann ist er zwar nett, aber dennoch wortkarg. Das ganze Gegenteil von Philipp Gross. Ein weiterer Nachbar. Er ist so lebendig und redet ununterbrochen. Viele interessante und viele lustige Sachen. Ständig bringt er seine Frau damit zum Lachen. Die zwei wirken sehr harmonisch miteinander. Manchmal habe ich das Gefühl, alle hier sind glücklich. Außer uns.

Ich fahre herum als ich den Schlüssel in der Tür höre. Es ist schon spät, die Kinder liegen schon lange im Bett.

„Kris?“, rufe ich leise und laufe ihm entgegen. Er hat Augenringe und sieht nicht gut aus. Fertig und unzufrieden. „Alles okay?“ Ich ahnte, wo er gerade her kam. Wie fast jeden Abend. Wenn wir gerade mal nicht heile Familie spielen, dann verschwindet er direkt nach der Arbeit dort hin und kommt erst sehr spät wieder nach Hause. Nur selten ist er dann gut gelaunt.

Statt mir zu antworten, macht er eine wegwischende Geste mit der Hand und schlurft an mir vorbei in die Küche. Ich laufe ihm hinterher und beobachte, wie er sich ein Bier aus dem Kühlschrank holt und es öffnet und trinkt, ohne den Kühlschrank wieder zu schließen. Ich gehe hin und schließe die Tür.

„Warum?“, frage ich ihn, doch er weicht meinem Blick aus.

„Du verstehst das nicht“, brummt Kris und trinkt weiter.

„Nein, das tue ich nicht“

Wir haben schon so oft darüber geredet, aber er hat mir den Grund nie erklären können. Ich weiß auch nicht genau, wann es angefangen hat. Vor ein paar Monaten. Vielleicht vor fünf oder sechs. Vielleicht aber auch zehn oder elf. Ich weiß es wirklich nicht mehr, aber es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Das Streiten bin ich leid geworden. Es hat viele laute und böse Worte gegebene, wenn die Kinder nicht im Haus waren. Aber jetzt nicht mehr. Ich bin einfach so müde.

„Was willst du als nächstes opfern? Die Fahrräder? Das Auto? Das Haus?“ Ich klinge ein wenig zynisch, weshalb er mir einen bösen Blick zu wirft. Aber ich erkenne auch Schmerz darin. Irgendetwas sagt mir, dass dieser Blick nichts Gutes zu heißen hat.

„Was ist los?“, hake ich argwöhnisch nach.

„Nichts!“, brummt er unwirsch und stellt die halb leere Bierflasche in der Spüle ab. Dann läuft er schnurstracks die Treppen hinauf in unser Schlafzimmer. Die Arme an meinen Morgenmantel gepresst, laufe ich ihm hinterher und packe ihn am Arm.

„Was ist los?“, wiederhole ich energischer. Kris schüttelt meinen Arm ab und holt eine Kiste und eine Reisetasche vom Schrank herunter.

„Wir sollten anfangen mit packen“, sagt er tonlos und holt ein paar Jenas aus dem Schrank. „Wir haben noch einen Tag“

Mir klappt die Kinnlade runter und ich spüre, wie mir sofort Tränen in die Augen schießen. Ungläubig lasse ich mich auf unser Bett sinken und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Sie werden augenblicklich feucht. Genauso feucht wie meine Augen. Es hört gar nicht mehr auf, genauso wenig wie Kris aufhört mit packen.

„Das Auto haben wir noch“, meint er knapp, als würde mich das trösten. „Damit können wir fahren. Die Fahrräder bleiben hier“

Ein erneuter Stoß Tränen durchfährt mich und ich fange an zu schluchzen. Einmal die Woche gehen wir mit unseren Kindern auf Fahrradtour. Damit sie nichts mitbekommen und ihren geregelten Familienausflug haben. Wie sehr würden sie weinen.

Kris macht gerade gar nichts. Außer packen. Er sagt keine tröstenden Worte, keine Entschuldigung, kommt nicht zu mir und legt seinen Arm nicht um mich. Am liebsten würde ich schreien. Aber ich möchte die Kinder nicht wecken und ihre Idylle nicht zerstören. Und ich weiß, dass Schreien nichts bringen würde. Das Haus ist so oder so weg. Verspielt. So wie unsere gesamten Rücklagen. Unsere Spülmaschine. Die Sparbücher für die Kinder. Meine Lieblingsküchenmaschine. Unser Flat Screen. Unser Laptop. Wie sollte ich das nur den Kindern beibringen? Ich werde gehen. Wenn wir hier fortgehen, werde ich abhauen. Und ich nehme die Kinder mit.

Warum nur müssen wir so kaputt sein?

DANIEL KIESEL

Heute Nachmittag saßen wir mit unserer Tochter Chantal im Garten. Es war ein wirklich wunderschöner Tag. Sehr heiß. 30°C und blauer Himmel. Chantal hat in ihrem aufblasbaren Swimmingpool gebadet danach haben wir Memory gespielt. Es war ein wirklich schöner Tag!

Wenn nur jeder Tag so wäre. Der ganze Tag. Sobald Chantal im Bett liegt, geht das Donnerwetter los. jeden Abend.

Ich blicke zu den Millers hinüber, die gerade Besuch von ihrer Tochter Anne haben. Es wird gelacht und sich angeregt unterhalten. So etwas gibt es bei uns nicht. Nicht abends. Da ist hier die Hölle los.

Manchmal frage ich mich, ob die Nachbarn das mitbekommen. Vor allem die Leonhardts. Unsere Häuser stehen sehr dicht aneinander. Sie höre ich nie streiten. Sie wirken immer so glücklich. Erst heute Nachmittag haben die Kinder zufrieden im Garten gespielt und Ramona Leonhardt hat den beiden Eis und Saft gebracht. Ihr Mann war arbeiten. Er arbeitet immer sehr lange. Bestimmt genießen sie ihre Abende deshalb sehr. Wie soll es da auch zum Streit kommen? Generell höre ich nie jemanden in der Mondscheinallee streiten. Ich schaue zum Fenster, welches angekippt ist. Sonst ist es immer geschlossen. Immer. Vermutlich hört man uns deswegen auch nicht. Hoffentlich. So ganz sicher bin ich mir nicht.

Wieder blicke ich aus dem Fenster zu den Millers. Doch gleich darauf sehe ich die Hand meiner Frau Kristen,  wie die ruppig die Jalousien runter lässt. Gleich würde es losgehen.

„Warum verdammt nochmal ist der Wagen noch nicht gewaschen?“, fragt sie Zähne knirschend.

„Wir waren doch den ganzen Tag-“

„Jetzt komm mir nicht mir Ausreden!“ Ihr Finger wedelt vor meiner Nase herum. „Du hättest den Wagen vor dem Abendessen in die Waschanlage bringen können!“

„Da habe ich das Bad geputzt“

„Dann hättest du es eben davor oder danach gemacht!“, schreit sie mich an und ich mache mich klein. „Wie soll das denn aussehen, wenn ich morgen mit dem verdreckten Wagen bei meinem Boss vorfahre?“

„Entschuldigung“
„Das bringt mir jetzt auch nichts mehr. Immer schaffst du es, mich zu blamieren!“

„Ich wollte nicht-“

„HALT DIE KLAPPE!“ Nun schreit sie richtig laut und der Fotorahmen mit unserem Hochzeitsbild drin fliegt von der Kommode, als sie gestikuliert. „Du bist ein Nichtsnutz! Ich weiß gar nicht, warum ich überhaupt noch bei dir bin! Wozu bist du denn gut?“

„Ich mache den Haushalt, kaufe ein, koche, bring Chantal ins Bett-„, fange ich ruhig an aufzuzählen, damit sie weiß, was sie an mir hat.

„Willst du mir jetzt etwa vorwerfen, dass ich nichts mache?“ Mit jedem Wort wird sie wieder lauter und nun ist die Vase dran. Das Blumenwasser saugt sich in den Teppich ein und ein paar kleine Scherben springen durch die Gegend.

Ich hätte einfach gehen sollen, als das alles angefangen hat vor vier Jahren. Aber ich liebe sie so sehr und meine Tochter Chantal. Und ich möchte nicht, dass Chantal mit getrennten Eltern aufwächst. Sie soll eine glückliche Familie haben. Sie soll nicht so aufwachsen wie ich.

„ICH REDE MIT DIR!“, fährt sie mich an und ich zucke zusammen, als mich ein Feuerzeug am Kopf trifft. Warum ich nicht zurück schreie? Ich bin müde. Außerdem möchte ich mein Kind nicht wecken. Oft schläft sie durch und bekommt von uns nichts mit, aber manchmal steht sie doch in der Tür. Dann fühle ich mich immer schlecht. Was soll sie nur von ihren Eltern denken?

„Sprich, du Trottel! Willst du etwa behaupten, ich würde nichts machen?“

„Das habe ich nicht gesagt“ ich versuche ruhig zu bleiben. „Ich wollte dir nur sagen, weshalb du mich brauchst“
„Du denkst also, ich bin auf dich angewiesen?“ Unfassbar schaut sie mich an und klatscht mir eine. Es tut kaum noch weh. Immer wieder aufs Neue tut es mir innerlich weh, aber meine Wangen sind abgestumpft. Beide.

„Bitte beruhige dich. So habe ich es nicht ge-“

„ICH SOLL MICH BERUHIGEN?“ Am liebsten würde ich mir die Ohren zu halten, aber dann würde sie mir gleich die nächste Ohrfeige verpassen.

„Du weckst noch Chantal“, erkläre ich so ruhig wie möglich.

„ICH wecke Chantal? Weshalb muss ich denn hier rumbrüllen und mich aufregen? Deinetwegen!“ Sie tippt mir mit ihrem langen Fingernagel kräftig auf die Brust. Es kratzt unangenehm. „Wenn Chantal also wach wird, dann deinetwegen!“

„Okay, du hast recht, meinetwegen“, gebe ich klein bei. Hauptsache sie ist endlich ruhig und unsere Tochter hört ihre Eltern nicht streiten.

Kristen schaut zum Fenster und bemerkt, dass es offen ist. Panisch eilt sie hin, um es sofort und lautstark zu schließen. Lautstark vermutlich nur aus reiner Panik, man könne uns hören, nicht, um noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen.

„Mama. Papa“ Ich fahre herum und sehe Chantal an der Tür stehen.

„Mäuschen, du bist ja wach“ Mit einem Mal ist Kristen wieder ganz ruhig. Sie geht auf Chantal zu, nimmt sie auf den Arm. Mir wirft sie einen bösen Blick zu. „Komm, ich bring dich wieder ins Bettchen“

„Papa“, sagt Chantal und streckt ihr kleines Händchen nach mir aus. „Papa, soll mich ins Bett bringen“

Ein wütend funkelnder Blick zu mir von meiner Frau, ein sanftes Streicheln über Chantals Köpfchen.

„nein, Mäuschen, der Papa muss aufräumen. Beim Proben ist ihm aus Versehen etwas herunter gefallen. Ich bringe dich“ Und fort ist sie.

Beim Proben. das sagt sie immer. nach unserem ersten Streit, den unsere Tochter mitbekommen hat, hat Kristen behauptet, ich würde als Hobby in einer Schauspielgruppe mitmachen. Seitdem ist das die Standartausrede geworden, wenn Chantal doch mal wach wurde. Wir proben nur für Papas neues Theaterstück. Traurig, dass es soweit gekommen ist, bücke ich mich und sammele die Scherben einzeln und vorsichtig auf. Unseren Nachbarn schien es allen so gut zu gehen. Warum nur sind wir so kaputt?

LARISSA DACHMANN

Rainer hat gestern wieder seine Rosen gepflegt. Seine wunderschönen Rosen. Die Nachbarin Ramona Leonhardt hat einmal gesagt, sie seien genauso hübsch wie ich. Sie ist so charmant. Rainer hat so etwas früher auch mal zu mir gesagt. Damals fand ich ihn noch charmant. Heute leider nicht mehr so sehr. Er spart viel mit Komplimenten und netten Worten. Seit fast einem Jahr schon. Es hörte so ganz allmählich auf und ich vermisse es ein bisschen. Um nicht zu lügen: Ich vermisse es sogar sehr.

Nach der Gartenarbeit gestern ist er fort gegangen. Er musste noch einmal ins Büro. Hat etwas vergessen. Er musste ziemlich lang gesucht haben, denn als er zurückkam, lag ich schon im Bett. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob er wirklich nur gesucht hat. Vielleicht hat er ja noch den einen oder anderen Kollegen zum Feierabend angetroffen und war noch ein Bierchen trinken. Das ist doch okay. Das kann er mir doch sagen. Aber er sagt es nie.

Heute macht er Überstunden. Er hat einen Sonderauftrag bekommen, deshalb ist er heute länger unterwegs. Ich bin also den ganzen Tag alleine zu Hause gewesen. Habe Kekse gebacken und die Nachbarn eingeladen. Die Leonhardts, die Gross‘, die Millers und die Kiesels. Alle sind sie gekommen. Sogar ihre Kinder haben sie mitgebracht. Da habe ich noch schnell einen Kuchen gebacken, damit es für alle reicht. Die Millers waren so lieb, noch einen Kuchen mitzubringen und von den Leonhardts gab es Saft. Es war ein sehr netter Nachmittag. Alle waren da. Mit Frau, Mann und Kindern. Ein bisschen hatte es mich traurig gestimmt, dass ich als einzige ohne Mann da saß. Da meiner der einzige war, der an einem Samstag einen Sonderauftrag bekommen hatte. Aber das war schon okay. Immerhin brachte es mehr Geld. Und Geld kann man ja immer gut gebrauchen. Nicht wahr?

Die Nachbarn sind alle sehr nett und freundlich gewesen und gegen Nachmittag wieder gegangen.

Nachdem sie weg waren, rief Rainer mich an. Noch eine Stunde, dann ist er da.

Das ist nun über zwei Stunden her und ich sitze hübsch gemacht vor dem Fernseher. Nach seinem Anruf habe ich mich gleich schick gemacht. Das kurze Schwarze, welches er mir vor einigen Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte und was ihm an mir so gefällt. Löckchen habe ich mir gemacht und währenddessen einen leckeren Braten im Ofen gehabt.

Die Kerzen, die ich am fein gedeckten Tisch angezündet habe, sind fast hinunter gebrannt und das Essen ist auch schon wieder kalt. Ich würde es nochmal aufwärmen müssen, wenn er endlich kam.

Als ich endlich den Schlüssel im Haustürschloss höre, schalte ich den Fernseher auf und springe vom Sofa. Ich eile durch die Küche, um Herd und Ofen anzumachen und laufe weiter zur Tür, die Rainer gerade hinter sich schließt.

„Schatz!“, lächele ich glücklich und gebe ihm einen Begrüßungskuss. Er lächelt mich an und schlüpft aus seinen Schuhen. Er sieht schick aus. Anzug, Krawatte und feine schwarze Lederschuhe.

„Wie schön, dass du endlich da bist. Ich habe uns ein leckeres Essen gekocht mit einem ganz reizenden Nachtisch!“ Ich zwinkere ihm verheißungsvoll zu und spiele ein bisschen mit meinen Reizen. Er schaut mich nicht mal an. Nicht so, wie er es noch vor einem Jahr getan hat. Ob er das kleine schwarze überhaupt bemerkt hat?

„Das ist wirklich lieb von dir, aber ich habe schon gegessen“

Meine Mundwinkel wandern hinunter und meine Schultern werden schlaff.

„Oh… nicht schlimm“, sage ich traurig. „Dann essen wir es morgen“

Ich gehe geknickt in die Küche, um her und Ofen wieder auszumachen. Dann gehe ich ins Wohnzimmer, um die letzte noch brennende Kerze auszupusten. Danach greife ich nach dem Geschirr und räume langsam ab.

„War dein Tag sehr anstrengend?“, frage ich mitfühlend. Er schüttelt den Kopf.

„Er war wunderschön“, antwortet er und obwohl ich es ihm glaube, sieht er sehr ernst aus. Er schaut mich an und kommt auf mich zu. Er nimmt mir die Teller aus der Hand und greift nach meiner freien Hand. „Du musst jetzt stark sein“ Ich fühle, wie mein Körper genau das Gegenteil macht. Ob jemand gestorben ist? Nein, dann wäre sein Tag nicht wunderschön gewesen. Oder?

„Ich habe da jemanden kennen gelernt“ Meine Knie zittern. „Vor zwei Jahren“ Meine Hand rutscht aus seiner. „Seit einem Jahr gehen wir miteinander“ Meine Augen werden feucht. „Ich liebe sie. Ich werde zu ihr ziehen“ Rainer nimmt mich in den Arm und ich bin zu schwach, um ihn weg zu stoßen.

Mit einem Mal wird mir alles klar. Die Überstunden, verlorene Fundstücke im Büro, Feierabend Bierchen, die er nie genannt hatte, Sonderschichten, dass er mich nicht mehr ansah oder mir Komplimente machte. Die Tränen brechen aus mir raus und er lässt mich los.

„Es tut mir leid“, lauten seine letzten Worte, bevor er im Schlafzimmer verschwindet. Ich höre ihren kramen. bestimmt packt er seine Sachen. Es hupt. Durch den feuchten Schleier meiner Tränen, blicke ich aus dem Fenster. Dort steht sein Auto. Auf dem Beifahrersitz sitzt eine Frau. Ich möchte sie sehen, also gehe ich weinend zum Fenster und wische mir die Tränen aus dem Gesicht. Meine Rückhand ist ganz nass und schwarz. Die Frau zieht sich gerade im Rückspiegel den Lippenstift nach. Seine Sekretärin. Ich breche auf dem Boden zusammen und weine. Lange und intensiv. Es ist noch nicht greifbar und doch so real. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt Rainer zurück, zwei Koffer in der Hand.

„Ich komme morgen den Rest holen. Mach’s gut, Larissa“ Dann geht er und lässt mich alleine zurück. Ganz alleine. In diesem großen Haus mit dem wunderschönen Rosenbeet vor der Tür. Wie kann er sein Rosenbeet nur einfach so zurück lassen?

Wahrscheinlich bin ich jetzt der einzige Single in der Mondscheinallee. Alle werden über mich reden. Und ich werde weiter weinen. Ich hätte es viel früher wissen müssen. Warum nur ist alles bei uns so kaputt?

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Die letzten Geschichten folgen in Teil 2.

(Written by Lisa Müller, geb. Gehricke)

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